Holocaust-Gedenktag: Die Geschichte eines Opfers, im Gedenken an sechs Millionen

Corrie Hermann, Tochter des Cellisten und Holocaust-Opfers Pál Hermann, sprach am Mittwoch vor den Abgeordneten in Brüssel auf einer Plenarsitzung des Europäischen Parlaments zum Internationalen Holocaust-Gedenktag.

Holocaust-Gedenken im Europäischen Parlament

Musikalische Darbietung mit Hermanns originalem Gagliano-Cello im Europäischen Parlament. Fotograf: Philippe BUISSIN © European Union 2025 - Source: EP

Roberta Metsola, die Präsidentin des Europäischen Parlaments, eröffnete die Gedenksitzung in Brüssel, die zugleich an den 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Januar erinnerte: „Wir dürfen niemals vergessen – und wir müssen handeln. Unsere Generation ist die letzte, die das Privileg hat, Holocaust-Überlebende persönlich zu kennen und ihre Geschichten aus erster Hand zu hören. Ihre Stimmen, ihr Mut, ihre Erinnerungen sind eine Brücke zu einer Vergangenheit, die niemals in Vergessenheit geraten darf. Denn selbst nach den Schrecken des Holocaust verschwand der Antisemitismus nicht. Er blieb bestehen. Er entwickelte sich weiter.“ „Erinnern ist eine Pflicht. Eine Verantwortung, sicherzustellen, dass ‚Nie wieder‘ kein leeres Versprechen bleibt“, so Metsola weiter.

„Dieses Europäische Parlament wird immer erinnern. Und wir werden immer unsere Stimme erheben – so, wie es uns unsere erste Präsidentin Simone Veil, selbst eine Holocaust-Überlebende, gelehrt hat. Ihr Vermächtnis erinnert uns daran, dass Neutralität immer nur dem Unterdrücker nützt, niemals dem Opfer. Dieses Parlament wird immer für Würde eintreten. Für Hoffnung. Für Menschlichkeit“, schloss die Präsidentin des Europäischen Parlaments.

Auf die Rede von Präsidentin Metsola folgte eine musikalische Darbietung mit Hermanns originalem Gagliano-Cello. In ihrer Ansprache erzählte Corrie Hermann die Geschichte ihres Vaters, des ungarischen Komponisten und Cellisten Pál Hermann, der als einer der besten Cellisten seiner Zeit galt und 1944 von den Nazis ermordet wurde. „Diese Geschichte eines einzelnen Holocaust-Opfers ist all jenen sechs Millionen Opfern gewidmet, um die wir auch heute noch trauern“, sagte sie.

Corrie Hermann schilderte das Leben ihres Vaters als Musiker – von seiner Ausbildung an der Franz-Liszt-Akademie in Budapest bis hin zu Auftritten auf den renommiertesten Bühnen Europas. Nachdem er nach Belgien und Frankreich geflohen war, wurde er im April 1944 bei einer Razzia in Toulouse verhaftet und ins Lager Drancy bei Paris gebracht, von wo aus die Transporte in die Konzentrationslager abgingen. Von dort wurde er in das Konzentrationslager Kaunas in Litauen deportiert. Während der Zug im Bahnhof wartete, gelang es ihm, eine Nachricht aus dem Waggon zu werfen – mit der Bitte, sein Gagliano-Cello zu retten. Die Nachricht wurde gefunden und an seinen Schwager weitergeleitet, der das wertvolle Instrument gegen ein weniger wertvolles austauschte und mit dem Gagliano-Cello auf dem Rücken floh. „Was danach geschah, wissen wir nicht – aber nur eine Handvoll der 900 Gefangenen kehrte nach dem Krieg zurück“, erinnerte sie.

Trotz seines tragischen Schicksals inspiriert Hermanns Musik bis heute Menschen auf der ganzen Welt. Mehr als 80 Jahre nach seinem Tod wurde sein Gagliano-Cello wiederentdeckt, und seine Kompositionen werden von renommierten internationalen Künstlern aufgeführt. „Hitler verbrannte Bücher, zerstörte Gemälde und ermordete Millionen – aber Musik ist unbesiegbar“, sagte Corrie Hermann.
Nach der Rede hielten die Abgeordneten eine Schweigeminute ab. Die Zeremonie endete mit einer musikalischen Darbietung von ‚Kaddish‘ von Maurice Ravel.

Über Pál und Corrie Hermann

Pál Hermann wurde am 27. März 1902 in Budapest geboren und war ein angesehener ungarischer Cellist und Komponist. In den 1920er Jahren zog er nach Berlin und trat in ganz Europa mit seinem Gagliano-Cello auf. 1933 floh Hermann nach Belgien und später nach Frankreich. 1944 wurde er in Toulouse von den Nazis verhaftet und Monate später in Litauen ermordet.

Corrie (Cornelia) Hermann, am 4. August 1932 in Amersfoort (Niederlande) geboren, ist eine pensionierte Ärztin und ehemalige Politikerin. 1996 gründete sie den Paul-Hermann-Fonds zur Förderung junger professioneller Cellisten.