Durchbruch beim 2. EU-Videogipfel
Grünes Licht für Corona-Kredithilfen
Wir alle können stolz darauf sein, wie rasch und konsensfähig sich die EU-Staats- und Regierungschefs auf dem Videogipfel Ende April auf eine elementare Zukunftsfrage geeinigt haben: auf Corona-Kredithilfen. Beim ersten EU-Video-Gipfel Anfang März ging es um die medizinische Bekämpfung der Corona-Pandemie. Jetzt bildeten die späteren Kollateralschäden den Schwerpunkt, die Corona in der Wirtschafts- und Finanzpolitik hinterlassen wird.
Der EU-Gipfel hat das vereinbarte Paket mit Kredithilfen von bis zu 540 Milliarden Euro für Kurzarbeiter, Unternehmen und verschuldete Staaten gebilligt. Italien hat diesmal nicht wie beim ESM widersprochen. Ein erfreulicher Lernprozess, wie ich finde.
Als Europaabgeordnete bin ich erleichtert, dass die EU in schwierigen Finanz- und Haftungsfragen bei dem geblieben ist, was bereits in der Eurokrise konsensfähig war: Kredite statt Subventionen und Garantien statt Schulden-Vergemeinschaftung. Bundeskanzlerin Merkel hat sich mit ihrem Nein zu Coronabonds durchgesetzt. Stattdessen plädiert sie für ein europäisches Konjunkturprogramm in Verbindung mit dem neuen EU-Haushalt, in dem sich Deutschland allerdings wesentlich stärker einbringen müsse. Das wird noch harte Debatten im Bundestag und im Europaparlament geben.
Laut EU-Gipfel soll die Kommission noch im Mai ein Konzept für einen Wiederaufbaufonds vorlegen. Dieser soll ohne Corona- oder Eurobonds auskommen und könnte nach ersten Schätzungen sogar weit mehr als eine Billion Euro umfassen. Die wesentlichen Details zum Wiederaufbaufonds fehlen aber noch: Umfang, Finanzierung und genaue Verwendung. Er soll mit dem nächsten mehrjährigen EU-Haushalt von 2021 bis 2027 verknüpft werden. Es wird bereits ernsthaft darüber diskutiert, ob die Obergrenze für nationale Beiträge zum EU-Haushalt von bisher 1,2 Prozent bis auf 2 Prozent angehoben werden soll. Auch da wird es noch heiße Debatten geben. Eines steht fest: Die wirtschaftlichen und finanziellen Folgen von Corona sind von großer Dramatik.
Ich finde: in einer solchen Krisensituation wie gegenwärtig ist das gemeinsame Europa noch wichtiger als zu „normalen“ Zeiten. In den nächsten Monaten müssen die EU-Staaten zeigen, dass wir zusammengehören und die gesundheitlichen, wirtschaftlichen und finanziellen Folgen solidarisch aufarbeiten wollen.
Am 1. Juli beginnt die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Diese wird mit Sicherheit anders ablaufen, als wir uns das vorgenommen hatten. Die medizinische Bekämpfung der Corona-Pandemie und die Bewältigung ihrer wirtschaftlichen, finanziellen und gesellschaftlichen Folgen wird die deutsche EU-Ratspräsidentschaft prägen. Die Bundeskanzlerin hat zugleich betont, als Ratspräsidentin nicht nur etwas für den wirtschaftlichen Wiederaufbau zu tun, sondern auch für den sozialen Zusammenhalt der Menschen in Europa. Aber auch Klima- und Umweltfragen, die bislang im Focus standen, müssen angegangen werden. Wir Europaparlamentarier müssen uns auf harte Arbeit einstellen. Die EU – das ist meine feste Überzeugung – muss aus der Krise gestärkt hervorgehen. Corona ist nicht mit nationalen Alleingängen in den Griff zu kriegen.

Der kontinuierliche Austausch mit Pandemie-Experten und Virologen ist für uns Politiker essentiell, um gut begründete Entscheidungen treffen zu können. Professor Kekulé und seine Kollegen sind aktuell auf vielen Kanälen gefragt. (Foto: Europabüro Thüringen)
Auch Deutschland wird hart von der Krise getroffen
Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass die EU-Mitgliedsländer erkennen, wie wichtig gerade in der Krise unsere zentralen europäischen Werte wie Solidarität und Subsidiarität sind. Der heftige Streit, der mit der Forderung vor dem Videogipfel der Staatschefs ausbrach, hatte in meinen Augen erneut zwei der größten virulenten Probleme der EU offenbart. Das eine ist so alt wie die EU selbst, wonach in der öffentlichen Meinung die EU immer für die Probleme und die nationale Regierung für die Erfolge verantwortlich ist. Italien hat dies oft bis an die Spitze getrieben.
Das zweite Phänomen ist neuerer Natur: Unter den jetzt 27 EU-Staaten ragt Deutschland politisch und wirtschaftlich unbestritten hervor. Deutschland will nicht der europäische Musterknabe sein. Deutschland ist aber auch nicht Europas Hegemon und will es auch künftig gar nicht sein. Auch in Deutschland wird die Wirtschaft von Corona gebeutelt. Und auch in Deutschland wird der Schuldenberg in schwindelerregende Höhe kräftig ansteigen. Auch Deutschland wird hart von der Coronakrise getroffen.
Für mich ist eines klar: Deutschland kann die EU nicht allein tragen, das gilt auch für die öffentliche Versschuldung einzelner EU-Mitgliedsländer. In manchen europäischen Hauptstädten, leider auch in Paris, herrschen mitunter überzogene Vorstellungen von den deutschen Möglichkeiten, sprich überzogene Erwartungen. Macron fordert beispielsweise für von Corona besonders betroffene Branchen und Regionen nicht nur Darlehen, sondern vielmehr Transferleistungen. In einem Punkt allerdings stimme ich Macron zu, wenn er auf die Größe des Corona-Schocks eine solidarische, organisierte und starke Antwort der EU fordert.
Genau daran werden wir Europapolitiker in der nächsten Zeit energisch und solidarisch arbeiten. Schnelle Hilfe ja, für Strukturdebatten wie Eurobonds oder Coronabonds haben wir aber jetzt gewiss keine Zeit.